Schon seit meinem Literaturstudium im Zusammenhang mit meinem Werk »Die Wildbienen Baden-Württembergs« in den 1980er Jahren hatte ich den Wunsch, die bereits vor über einem halben Jahrhundert von Prof. Dr. F. Schremmer veröffentlichten Beobachtungen über das Blütenbesuchsverhalten, speziell die Pollenernte der recht seltenen Blattschneiderbienenart Megachile ligniseca am Klebrigen Salbei auch einmal selbst beobachten zu können. Während eines kurzen Aufenthaltes in den Schweizer Alpen im Kanton Glarus in der Nähe von Engi war mir dies nun endlich vergönnt. Als ich an einem regnerischen Tag auf einem Hang einen Bestand des Klebrigen Salbeis sah, erinnerte ich mich sogleich wieder an die von Schremmer gemachten Beobachtungen. Am kommenden Tag, als das Wetter wieder etwas bienenfreundlicher war, stellte ich mich für etwa 2 1/2 Stunden neben die unten abgebildeten Pflanzen, wegen der Steilheit des Geländes ein mühseliges Unterfangen. Zunächst konnte ich nur viele Hummeln verschiedener Arten als Besucher feststellen. Zu meiner Freude tauchten aber immer wieder zwei Männchen von Megachile ligniseca auf und vollführten ihre Patrouillienflüge an den Blütenständen. Schließlich hat sich das lange Warten gelohnt: Zweimal bot sich mir die Gelegenheit, ein Weibchen bei der Pollenernte zu fotografieren. Da ich nicht annehme, daß sich die Chance bald erneut bietet, möchte ich das Beobachtete hier mitteilen, zumal die Schilderungen von Herrn Schremmer dadurch bestätigt werden.
Ein Bestand des Klebrigen Salbeis (Salvia glutinosa) auf einem Hang in 1200 m Höhe in den Schweizer Alpen.
Salvia glutinosa hat von allen heimischen Salvia-Arten die größten Blüten und zeigt den bekannten Schlagbaummechanismus besonders deutlich (siehe auch die Beobachtungen an Salvia sclarea). Die ganze Pflanze, besonders aber Stengel und Blütenkelch sind wie die Außenseite der Blüten drüsig-klebrig behaart. Der Klebrige Salbei ist kalkhold und kommt vor allem an lichten Stellen in frischen Laubwäldern vor.
Da ich den Vorgang der Pollenernte nicht besser als Schremmer beschreiben kann, möchte ich ihn zu Wort kommen lassen (1953:12): »Megachile kriecht so in die Salvia-Blüte hinein, daß die Bauchbürste, der Pollensammelapparat dieser solitären Apide, dicht an die Antheren angelegt wird. Sie dreht sich nach der Landung so, daß der Rücken gegen die Unterlippe zeigt, ihre Beine die oberen Konnektivschenkel umklammern und die Antheren an die Bauchbürste angedrückt werden. Unter der Last der Biene neigen sich die Konnektive gegen die Unterlippe. Durch pumpende Bewegungen des Abdomens wird der Pollen aus den Antheren herausgebürstet und bleibt in den Haarkämmen der Bauchseite haften.« [Anthere: Staubbeutel, Konnektiv: Verbindet die zwei Theken, aus denen die Anthere besteht]
Die obigen Fotos zeigen weitere Eindrücke von der Pollenernte von Megachile ligniseca. Die Art ist allerdings nicht auf Salvia glutinosa spezialisiert. Aufgrund von Pollenanalysen sind mir bislang Vertreter von fünf Pflanzenfamilien als Pollenquellen bekannt geworden (Korbblütler, Kardengewächse, Schmetterlingsblütler, Lippenblütler, Wegerichgewächse). Schremmer hat auch den Nektarraub dieser Art an Salvia glutinosa beschrieben.
Die Weibchen nisten in vorhandenen Hohlräumen, besonders in solchen in morschem Holz, z.B. in alten Gängen des Weidenbohrers (Cossus); gelegentlich werden auch Nisthilfen (Bohrungen in Holz) angenommen.
Ein Männchen von Megachile ligniseca. Die Art besiedelt
vor allem Waldgebiete der montanen Stufe, sie kommt vereinzelt aber auch in niederen
Lagen vor.
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Hummeln mehrerer Arten sind die häufigsten Besucher an Salvia glutinosa. Die häufigste an obiger Lokalität beobachtete Hummelart war Bombus hortorum (Gartenhummel). Als langrüsselige Art ist sie in der Lage, die Salbei-Blüten auf normalem Wege zu nutzen.
Ebenfalls häufig waren die bunt gezeichneten und struppig behaarten Männchen von Bombus wurflenii (Bergwaldhummel). Diese Art ist kurzrüsselig und hat kräftige, zum Anbeißen der Blumenkronröhre gut geeignete Mandibeln. Nach der Landung kriecht die Hummel sofort zur Basis der Kronröhre und beißt diese auf, um auf kurzem Wege zum Nektar zu gelangen. Bombus wurflenii betreibt demnach Nektarraub.
Auch die Arbeiterinnen von Bombus wurflenii mit ihren fuchsroten Hinterleibssegmenten sind ausschließlich als Nektarräuber an den Blüten von Salvia glutinosa zu beobachten. Neben den Mandibeln der Hummel sind die durch Aufbeißen geschaffenen Löcher gut zu erkennen.
Literaturhinweise:
Schremmer, F. (1941): Eine Bauchsammlerbiene (Megachile circumcincta) als Zerstörerin
der Blüten von Salvia glutinosa. – Zoologischer Anzeiger, 133: 230–232
(Tatsächlich
handelt es sich um Megachile ligniseca). – Die Arbeit enthält einige
Fotos in schwarz-weiß.
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Schremmer, F. (1953): Blütenbiologische Beobachtungen an Labiaten (Nektar- und
Pollendiebstahl). – Österreichische Botanische Zeitschrift, 100: 8–24.
Wildermuth, H. & Krebs, A. (2010): Pollendiebstahl, Nektarraub und Blütenzerstörung bei Salvia glutinosa L. durch Megachile ligniseca (Kirby, 1802) (Hymenoptera: Megachilidae). – Entomo Helvetica 3:
123–131.
Herr Schremmer, der von 1963–1976 als Professor für Zoologie an der Universität Heidelberg lehrte, war ein äußerst liebenswürdiger Mensch mit einer großen Liebe zur Natur und mit einer Beobachtungsgabe, wie man sie nur selten findet. Er war darüber hinaus besonders fähig, seine Entdeckungen und Beobachtungen auch anderen Menschen in verständlicher und gleichzeitig eindrucksvoller Weise zu vermitteln. Im Mai 1989 sind wir einmal mit dem gleichen Zug von Österreich nach Deutschland gefahren und haben uns während der langen Zugfahrt intensiv über unsere Forschung und die daraus gewonnenen Erkenntnisse ausgetauscht. Damals hat er die folgende Widmung in ein Heft der Zeitschrift ÖKO-L, für die er viele Beiträge geliefert hat, geschrieben:
[Herrn Kollegen Dr. Paul Westrich zur freundl. Erinnerung
an einen alten Biologen. Fr. Schremmer 5.V.1989]
Leider verstarb Herr Schremmer bereits eineinhalb Jahre später im Alter
von 76 Jahren.
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