Immer wieder kann man bei aufmerksamer Beobachtung des Blütenbesuchs von Wildbienen feststellen, daß manche Weibchen an den Blüten solcher Pflanzenarten Pollen sammeln, die einen charakteristischen Nelkenduft verströmen und damit Schmetterlinge als Bestäuber anlocken. (Von Bienen bestäubte Blumen haben einen anderen, aber ebenfalls charakteristischen, angenehmen Geruch.) Dies hindert jedoch manche Bienenarten nicht, diese wegen ihrer Hauptbestäuber auch »Schmetterlingsblumen« genannten Pflanzen auch als Nektar- oder Pollenquellen zu nutzen, wie ich hier am Beispiel zweier Bienenarten aufzeigen möchte.
Silene nutans (Nickendes Leimkraut) in einem Magerrasen der Sipplinger Molasse (Bodensee).
Silene nutans hat meistens zwittrige Blüten. Sie sind protandrisch (vormännlich). Am Tag des Aufblühens entfaltet sich die Blüte, wobei die 5 Staubblätter des äußeren Kreises aus dem Blüteneingang hervortreten. Deren Antheren öffnen sich an der Innenseite und biegen sich beim Verwelken nach außen. Am nächsten Tag nehmen die 5 Staubblätter des inneren Kreises ihre Stelle ein. Erst am Abend des dritten Tages wachsen die beiden mit Narbenpapillen bedeckten Griffel aus der Blüte heraus (obiges Foto). Durch diese Einrichtung wird normalerweise bei Insektenbesuch Fremdbestäubung gewährleistet.
Als ich mir am Fuß der Molassewände bei Sipplingen einen Bestand von Silene nutans näher anschaute, entdeckte ich eine Arbeiterin der häufigen und hinsichtlich ihres Blütenbesuchs ausgesprochen anpassungsfähigen Schmalbienenart Lasioglossum calceatum, die offensichtlich Pollen sammelte. Mir gelangen nur einige wenige Aufnahmen. Sie sind weiter unten zu sehen. Darüber hinaus befand sich in meinem Archiv ein Foto einer Ackerhummel, die mir im vergangenen Jahr ebenfalls durch ihren ungewöhnlichen Blütenbesuch aufgefallen war.
Silene nutans gehört zu den Nelkengewächsen (Caryophyllaceae), die nur selten von Wildbienen als Pollenquellen genutzt werden.
Vor vielen Jahren fand ich in der Südschweiz mehrere Nester der Keulhornbiene Ceratina chalybea, die fast ausschließlich mit dem blauschwarzen Pollen der Kartäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum) verproviantiert waren.
O. Kirchner schreibt bereits 1911 in seinem Buch »Blumen
und Insekten«:
»Durch die
Art des Blühens und
die Veränderung der Kronblätter zu verschiedenen Tageszeiten ist das
nickende Leimkraut (Silene nutans) von besonderem Interesse. Die an trockenen
Hängen und Waldrändern wachsende Pflanze treibt im Hochsommer ihre
einseitswendigen Rispen, an deren überhängenden Ästen die vereinzelten
Blumen schräg
nach unten hängen. Ihr Kelch bildet eine außen drüsenhaarige,
am Ende in 5 Zähne
ausgehende Röhre, welche die Nägel der Kronblätter fest zusammenhält
und im Grunde den ausgesonderten Nektar birgt. Die Platten der 5 Kronblätter
sind tief zweilappig; bei sonnigem Wetter rollen sie sich so nach oben ein, daß die
Blume wie verwelkt aussieht und wegen der nach außen gewendeten Unterseiten
der Platten wenig in die Augen fällt, mit Beginn der Abenddämmerung
breiten sich aber die Platten aus und legen sich so weit nach hinten, daß sie,
von der Seite gesehen, durch ihre helle Farbe die Blüten auffällig
machen. In dieser Stellung bleiben sie die Nacht hindurch bis zum frühen
Morgen, um dann wieder in die Tagesstellung
überzugehen, und dies wiederholft sich während der 3 Tage, welche die
Blütezeit
einer Blume gewöhnlich dauert. Bei Tage sind die Blüten geruchlos,
in der Nacht aber, zu derselben Zeit, wo die Krone ausgebreitet ist, hauchen
sie einen kräftigen, hyazinthenartigen Duft aus. Alle diese Eigentümlichkeiten
weisen darauf hin, daß die Bestäuber
der Blumen bei Nacht fliegende Schmetterlinge sind, und als solche sind verschiedenene
Eulen und Spanner tatsächlich beobachtet worden.«
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