Schon seit Jahren sorge ich in meinem Garten dafür, daß bis zu drei kräftige Exemplare des zweijährigen Muskateller-Salbeis (Salvia sclarea) zur Blüte gelangen. Wie ein Magnet zieht dieser Lippenblütler, dessen Blätter bzw. ihr ätherisches Öl zur Aromatisierung von Wermutweinen dienen, ab Mitte Juni die Weibchen der Blauschwarzen Holzbiene (Xylocopa violacea) an, sofern diese in der näheren Umgebung vorkommt. Als heute wieder ein Weibchen, das in einem morschen Stamm auf meiner Terrasse nistet, auftauchte, griff ich zur Kamera, um die charakteristische Pollenernte zu dokumentieren.
Die Blüte des Muskateller-Salbeis ist außerordentlich groß, entspricht aber in ihrem Bau weitgehend dem Wiesen-Salbei (Salvia pratensis). Die Blüten sind zu einer dichtgedrängten Synfloresenz (Blütenstand) angeordnet. Den Gipfel der Synfloreszenz bilden mehrere, oft intensiver gefärbte, sogenannte Brakteen, die gleichsam einen Schauapparat darstellen (rechtes Foto). Zum Erlangen des Nektars ist ein Rüssel von 6–7 mm Länge erforderlich. Der Pollen ist gelblichweiß.
Salvia sclarea zeigt einen eigenartigen Bestäubungsmechanismus, den sogenannten »Schlagbaummechanismus«, der bei einigen Salbei-Arten besonders deutlich ausgebildet ist. Blütenbau und Bestäubung wurden bereits 1793 von C. Sprengel beschrieben. Die zweilippige Krone einer typischen Salbeiblüte ragt weit aus dem Kelch hervor. Die helmartige Oberlippe umschließt zwei Staubblatt-Teile und den Griffel, die Unterlippe ist flach ausgebreitet und dient den anfliegenden Bienen als Landeplatz. Die Staubfäden (Filamente) sind kurz und tragen zwei ungleich lange Stücke des Mittelbandes (Konnektiv). Der lange Oberschenkel des Mittelbandes trägt die fruchtbare Staubblatthälfte (Theka) und liegt im Helm der Krone verborgen. Der kürzere Unterschenkel ist samt der verkümmerten Staubblatthälfte zu einem »Löffel« umgewandelt. Die beiden Löffel sind in der Mitte leicht verwachsen und versperren als »Stoßplatte« den Kronröhreneingang. Der normale Bestäubungsvorgang ist nun der, daß die zum Nektar vordringende Biene die gelenkig beweglichen Staubblattlöffel nach innen schiebt und dadurch den Hebelmechanismus in Bewegung setzt. Die Staubbeutel werden nun auf den Rücken des Besuchers herabgedrückt und entleeren hier ihren Pollen. Der anfangs nur kurz vorragende Griffel streckt sich später, so daß die in der Regel erst nach den Staubbeuteln reifenden Narbenäste in die gleiche Lage kommen, in die bei der Einstäubung der Biene die Staubbeutel gebracht wurden. Durch diese Vormännlichkeit (Proterandrie) und den komplizierten Hebelmechanismus wird Fremdbestäubung gesichert, wenn die Bienen nacheinander Blüten im männlichen und weiblichen Stadium besuchen.
Schauen wir uns die Verhältnisse bei der Blauschwarzen Holzbiene und dem Muskateller-Salbei näher an:
Das Weibchen führt beim Blütenbesuch den 8–9
mm langen Rüssel,
mit dem es den Nektar leicht erreichen kann, in die Kronröhre und klammert
sich dabei mit den Vorderbeinen an der Unterlippe der Blüte fest (linkes
Foto). Die Mittel-, seltener die Hinterbeine können dabei die Vorderbeine
unterstützen
oder können am Körper
angewinkelt bleiben. Die sich abwärts bewegenden Theken (Teil des Staubbeutels)
berühren
häufig
erst den Kopf und den Thoraxrücken und gleiten dann bis zur Mitte des Abdomens.
Der Kontakt wird durch das Weibchen noch dadurch verbessert, daß es während
des Saugens vielfach das Abdomen nach oben krümmt. Sammelnde Holzbienen
sind daher am Rücken vom Kopf bis zur Hinterleibsmitte mit Pollen bepudert
(rechtes Foto). Die Belegung der Narbe mit Pollen erfolgt beim Anflug, manchmal
auch beim Abflug.
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Die Holzbiene fegt, nachdem sie einige Blüten besucht
hat, den Rücken mit den Mittelbeinen und befördert dann den Pollen
entweder zum Kopf oder zu den Hinterbeinen. (Auf beiden Fotos ist diese Bewegung
zu sehen, achten Sie vor allem auf das rechte Mittelbein!). Schremmer (1972)
ist der Meinung, daß Xylocopa
den Pollen vorwiegend im Kropf transportiert, weil er niemals gesehen hat, wie
Pollen in die Haarbürsten
der Hinterbeine umgelagert wird. Auch wenn dies in vielen Fällen der Fall
sein dürfte,
so zeigen doch die Bilder auf dieser Seite, daß
die Weibchen den Pollen auch in den Hinterbeinen transportieren
(können). Auch der Blütenökologe Kugler (1972) bildet ein Weibchen ab, bei
dem auf der Außenseite
der Tibia und des Metatarsus Pollen abgelagert ist.
Wenn der Pollen im Kropf transportiert werden soll, streifen die Holzbienen
den Pollen mit speziellen Pollenabnehmerkämmen,
die beiderseits im Mundwinkel hinter den Mandibeln stehen, von den
Vorderbeinen ab und verschlucken ihn.
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Kugler hat 1972 nach ausgiebigen Beobachtungen in Dalmatien über die Bestäubung von Salvia sclarea berichtet. Aufgrund der Dimension der Blüten, die vollkommen den Größenverhältnissen von Xylocopa violacea entsprechen, kommen nach seiner Ansicht nur große Bienen wie Holzbienen als Bestäuber in Betracht, weil nur sie den Schlagbaummechanismus in Bewegung setzen können. Kugler hat deshalb für den Blumentyp von Salvia sclarea den Begriff »Großapidenblume« vorgeschlagen.
Kugler, H. (1972): Zur Bestäubung von Salvia sclarea L. durch Holzbienen
(Xylocopa violacea L.). – Österr. Bot. Z., 120: 77–85.
Schremmer, F. (1972): Der Stechsaugrüssel, der Nektarraub, das Pollensammeln
und der Blütenbesuch der Holzbienen (Xylocopa) (Hymenoptera, Apidae). – Z.
Morph. Tiere, 72: 263–294.
Sprengel, C.K. (1793): Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung
der Blumen. Berlin (F. Vieweg)
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