Edraianthus graminifolius - Grasblättrige Büschelglocke
Die Pflanzengattung Edraianthus gehört zur Familie der Glockenblumengewächse (Campanulaceae). Es gibt ca. 20 Arten, die in den Gebirgen Südosteuropas und in Italien verbreitet sind. Edraianthus-Arten sind ausdauernde krautige Pflanzen. Die Gattung Edraianthus bildet eine monophyletische Gruppe (d.h. hat einen gemeinsamen Vorfahren) (EVOBALK). Edraianthus graminifolius ist sehr variabel in Blütenfarbe, Blütengröße, Blütenzahl und Form und Länge der Hochblätter. Die Art wird auch als Zierpflanze in Steingärten kultiviert.
Die Blüten stehen einzeln oder zu mehreren dicht gedrängt in Köpfen. Sie sind zwittrig und fünfzählig und haben fünf Staubblätter. Im Unterschied zu den Arten der Gattung Campanula (Glockenblumen) springen die Kapselfrüchte bei Edraianthus-Arten unregelmäßig an der Spitze auf, bei Campanula-Arten jedoch mit Löchern oder Klappen.
Vor wenigen Tagen hat im Botanischen Garten der Universität Tübingen im Alpinum ein kleiner Bestand der Grasblättrigen Büschelglocke (Edraianthus graminifolius) zu blühen begonnen. Schon vor 30 Jahren (Westrich 1989) habe ich mich bei meinen blütenökologischen Studien mit Edraianthus beschäftigt, vor allem im Vergleich zu Campanula. Ich hatte damals Edraianthus-Arten kultiviert und die Wildbienenarten, die sie besuchen, erfaßt. Für Chelostoma campanularum konnte ich zeigen, daß die Weibchen bei der Wahl der Pollenquellen nicht zwischen Campanula und Edraianthus unterscheiden. Um meine Erfahrungen zu bereichern, habe ich an mehreren Tagen über mehrere Stunden die Blüten beobachtet und die Besucher registriert, fotografiert und gefilmt.
Die Pollenpräsentation erfolgte in der ersten Tageshälfte. Um 15.00h am Nachmittag war kein Pollen in den Blüten mehr zu finden. Der Besuch durch Wildbienen hatte um diese Zeit abgenommen. Die wenigen Besucher, vorwiegend Hummeln, tranken aber Nektar.
Folgende Arten waren anzutreffen:
Andrena bicolor: Über mehrere Stunden haben mindestens drei Weibchen intensiv Pollen gesammelt. Einmal konnte ich beobachten, wie ein mit reichlich Pollen beladenes Weibchen unter einen kleinen Stein inmitten der Büschelglocken verschwand. Ich fand unmittelbar unter dem Stein den Eingang eines Bodennestes. Nur ca. 50 cm daneben nistete im übrigen auch ein Weibchen von Eucera nigrescens (Mai-Langhornbiene).
Andrena curvungula: Um 13.00h begann ein Weibchen intensiv Pollen zu sammeln, wobei es an zwei Blüten gut eine Minute beschäftigt war, an einer dritten Blüte ca. 30 Sekunden. Eine Zeitlang später beobachtete ich ein Weibchen (dasselbe?) ganz in der Nähe bei der Pollenernte an Campanula rotundifolia (Rundblättrige Glockenblume).
Chelostoma rapunculi: Ein Weibchen besuchte eine frisch aufgeblühte Blüte, bei der sich noch der meiste Pollen auf der Griffelstange befand. Es konnte mit dem Pollen dieser einen Blüte fast seine gesamte Bauchbürste füllen.
Anthidium oblongatum: Am 31. Mai trat erschien ein Weibchen
mehrfach, um Pollen zu sammeln. Ich konnte es auch dabei filmen.
Halictus simplex: Ein Weibchen sammelt am 31. Mai intensiv Pollen.
Lasioglossum morio: Zweimal traf ich ein Weibchen bei der Pollenernte an.
Bombus pratorum: Mindestens zwei Arbeiterinnen sammelten Pollen und tranken regelmäßig auch Nektar.
Bombus hypnorum: Am Nachmittag um 15.00h, als der Pollen aller Blüten bereits abgeerntet war, trank eine Arbeiterin Nektar und flog danach weiter.
Megachile willughbiella: Mehrfach patrouillierte ein Männchen an den Blütenständen, nutzte die Blüten jedoch nicht als Nektarquelle. Weibchen dieser Art konnte ich nicht beobachten.
Insgesamt sammelten acht Bienenarten den weißen Edraianthus-Pollen. Unter ihnen sind mit Halictus simplex, Lasioglossum morio, Bombus pratorum, Bombus hypnorum, Anthidium oblongatum und Andrena bicolor sechs polylektische Arten. Sie nutzen die Büschelglocke neben anderen Pflanzenarten als Pollenquelle. Chelostoma rapunculi und Andrena curvungula sind oligolektisch und belegen meine schon lange bestehende Auffassung, daß die bislang als »streng oligolektisch und auf Campanula spezialisiert« bezeichneten Arten auch nahverwandte Campanulaceae nutzen. Sie unterscheiden nicht wie die Botaniker zwischen den Gattungen, da offensichtlich Edraianthus für diese Arten sozusagen mit Campanula gleichgesetzt wird. Im Blütenbau und in der Art der Pollenpräsentation gibt es zwischen Edraianthus und Campanula keine Unterschiede, ebensowenig in der Größe und Morphologie des Pollens. Neben Edraianthus gehören demnach Jasione (Sandrapunzel) und wohl auch Phyteuma (Teufelskralle) sowie Asyneuma und Adenophora zum Spektrum der Campanulaceae-Spezialisten. Bei Jasione konnte ich in Südwestdeutschland mehrfach das Pollensammeln durch Lasioglossum costulatum nachweisen (siehe letztes Bild in der Bildergalerie). Bei Gattungen, die in Mitteleuropa nicht vorkommen, läßt sich dies natürlich nur entweder unter experimentellen bzw. gärtnerischen Bedingungen oder durch Beobachtungen in außerdeutschen Teilen des Verbreitungsgebiets dieser Bienenarten untersuchen.
Ähnliche Verhältnisse wie oben beschrieben liegen bei der Ballonblume (Platycodon grandiflorus) vor.
Solche Arten, für die ein erweitertes Pollenquellenspektrum belegt ist und die bislang als »streng oligolektisch, auf Campanula spezialisiert« bezeichnet wurden, sollten in Zukunft als »oligolektisch, auf bestimmte Vertreter der Campanulaceae (Glockenblumengewächse) spezialisiert« charakterisiert werden.
Bildergalerie:
Das folgende Video (1:45 min, ca. 40 MB) zeigt das Pollensammeln der Hummelart Bombus pratorum, der Sandbienenart Andrena bicolor und der Wollbienenart Anthidium oblongatum an Edraianthus graminifolius.
Das Video kann auch im Vollbildmodus abgespielt werden.
Systematics of the genus Edraianthus (Campanulaceae). Website von Boštjan Surina am Naturkundemuseum Rijeka
EVOBALK (2011): Evolution on the Balkan Peninsula: Phylogeny and phylogeography of the genera Edraianthus and Heliosperma). - CORDIS-result-49282.
Westrich, P. (1989): Die Wildbienen Baden-Württembergs. 2 Bände, 972 S., Stuttgart (E. Ulmer).
Copyright © 2005-2023 Paul Westrich
Website designed by Paul Westrich