Synonym: Osmia rufa (Linnaeus 1758)
Männchen: Brust- und Vorderschenkel ebenso
weißlich behaart wie Kopfschild und Kopfunterseite. Behaarung der ersten drei
Rückensegmente (Tergite) und des Schildchens bei mitteleuropäischen
Tieren rötlich
braungelb (rostrot). Das 6. und 7. Rückensegment ohne Ausschnitt oder Zähne.
Weibchen: Besonders charakteristisch ist der Clypeus (Kopfschild), der wie bei Osmia cornuta auf beiden Seiten ein vorstehendes Hörnchen aufweist. Thorax rötlich
braungelb zottig behaart, höchstens vorne mit eingestreuten schwarzen Haaren.
Die ersten zwei oder drei Hinterleibssegmente braungelb, die übrigen schwarz
behaart. 10-12 mm.
Zum deutschen Artnamen: Immer wieder trifft man auf Internetseiten oder in Druckschriften auf den Namen »Rote Mauerbiene«. Die hierbei verwendete Farbangabe entspricht zum einen nicht der Farbe der Behaarung beider Geschlechter, die deutlich rostrot bzw. fuchsrot ist, einer Mischung aus rot und braun (rgb(150,74,63)). Einen roten Hinterleib haben u.a. die Steppensandbiene (Ammobatoides abdominalis), das Weibchen der Schmuckbiene (Epeoloides coecutiens) oder Buckelbienen (Sphecodes), die von manchen Autoren wegen der Hinterleibsfärbung auch Blutbienen genannt werden (siehe die Abbildungen auf der Seite der Kuckucksbienen). Außerdem hat Linnaeus, der die Art zuerst beschrieben hat und Latein bestens beherrschte, dem Männchen aus gutem Grund den wissenschaftlichen Artnamen »Apis rufa« gegeben. Lateinisch rufus, rufa, rufum heißt übersetzt »rostrot« und rufa ist die weibliche Form des Adjektivs. Wäre Osmia bicornis tatsächlich rein rot gefärbt, hätte Linnaeus sie sehr wahrscheinlich »Apis rubra« genannt [ruber, rubra, rubrum = rot; rgb(189,16,30)].
Das Männchen (oben) hat ein Weibchen gepackt, um sich mit ihm zu paaren.Vor der eigentlichen, nur wenige Sekunden dauernden Paarung betrillert das Männchen mit seinen Fühlern die Fühler des Weibchens. Während der Vereinigung schlägt das Männchen heftig mit den Fühlern.
Bis es zur Paarung kommt, muß das Männchen das Weibchen bis zu zwei Stunden lang umklammern. Während dieser Zeit versuchen - wie auf diesem Bild - immer wieder andere Männchen, ebenfalls zur Paarung zu gelangen, was aber in der Regel nicht gelingt, da das erste Männchen die Umklammerung des Weibchens nicht aufgibt.
In weiten Teilen Europas und Nordafrikas und hier in drei Formen auftretend, die von manchen Autoren als Rassen (Unterarten) aufgefaßt und mit eigenen Unterartnamen (bicornis bicornis, bicornis cornigera, bicornis fracticornis) benannt wurden. Zwischen zwei dieser Formen (b. bicornis und b. cornigera) gibt es breite Bastardierungszonen. Eine Verbreitungskarte gibt Peters (1978). – In Deutschland in allen Bundesländern verbreitet, von der Ebene bis in die höheren Lagen der Mittelgebirge (im Schwarzwald bis 1055 m).
Ubiquitäre Art, die in den verschiedensten Lebensräumen vorkommt: Waldränder, Waldlichtungen, Kahlschläge, Streuobstwiesen, Feldhecken, strukturreiche Weinbergbrachen, Steinbrüche, Hohlwege, regelmäßig im Siedlungsbereich (synanthrope Art). Als Nistplätze dienen Löß- und Lehmwände, Trockenmauern, Totholzstrukturen, Brombeerhecken mit dürren Ranken, alte Holzschuppen, Gebäude. Nistplätze und Nahrungsräume sind in der Regel räumlich getrennt (Teilsiedler).
In Parkanlagen kann man im Frühling regelmäßig auch die Rostrote Mauerbiene antreffen.
In Fugen und anderen Hohlräumen von Mauerbienen findet man regelmäßig Nester.
Dicke, dürre Ranken von alten Brombeerhecken enthalten oft auch Nester der Rostroten Mauerbiene.
Reich strukturierte Waldränder mit vorgelagertem Nahrungsraum, hier eine Magerwiese, gehören ebenfalls zu den Lebensräumen dieser Mauerbienenart.
In Steilwänden von Hohlwegen nisten u.a. Pelzbienen wie Anthophora plumipes, in deren verlassenen Brutzellen auch Osmia bicornis nistet.
Alte Strangfalzziegel werden regelmäßig von Osmia bicornis zum Nisten genutzt. Man kann sie wie hier im Bild auch stapeln und damit sinnvoll wiederverwenden.
Solitäre Art, die in vorhandenen Hohlräumen verschiedenster Form und Größe nistet. In ihrer Lebensweise Osmia cornutasehr ähnlich.
Keine andere Mauerbienenart weist in der Wahl ihres Nistplatzes eine ähnlich hohe Flexibilität auf.
Folgende Hohlräume zur Anlage des Nestes wurden bekannt:
Die Art besiedelt sehr schnell Nisthilfen, z.B. Bohrungen in Holz, Bambusröhrchen, Schilfhalme, Papphülsen (Innendurchmesser 5–7 mm). In Bohrgängen und Pflanzenstengeln sind die Nester Linienbauten mit bis zu 20 Brutzellen. In größeren Hohlräumen dagegen können oft bis zu 30 Brutzellen recht unregelmäßig aneinander gebaut sein. Als Baumaterial dienen an Gewässerrändern oder sonstigen feuchten Stellen gesammelte Erde oder Lehm. Bei lange anhaltendem trockenem Wetter graben die Weibchen oft Gänge in das Erdreich, um an feuchteres Baumaterial zu gelangen. Regelmäßig stellen sich an diesen Stellen bis zum Ende ihrer Flugzeit auch Weibchen von Osmia cornuta ein. Wenn die Weibchen dann in die Erdlöcher kriechen, erweckt dies immer wieder den Eindruck, daß es sich um einen Nistplatz handelt. Dabei ist es doch nur eine vorübergehend genutzte Materialentnahmestelle.
Das folgende Video (1min 45sec, 150 MB) zeigt das Sammeln von feuchtem Lehm für den Nestbau. Während einer trockenen Wetterphase haben sich zahlreiche Weibchen an ein und derselben Stelle eingefunden, um im Boden Baumaterial zu sammeln, das genügend feucht und daher wie Mörtel formbar ist. Der 2. Teil enthält den Flugton. Auch als Vollbild möglich (Quadrat rechts unten).
Die folgenden Bilder zeigen die Entwicklung vom Ei bis zur Fertigung des Kokons.
Brutzelle für eine männliche Mauerbiene (wenig Pollen) mit einem frisch abgelegten Ei. Im Gegensatz zur nahverwandten Osmia cornuta sind die Eier bei Osmia bicornis mit Pollen bestäubt.
Brutzelle mit wenige Tage alter Larve (augenlose Made), die mit ihrem Hinterleibsende (unten) auf dem Pollenvorrat »klebt« und nach und nach den Pollenvorrat verzehrt.
Die Larve ist mehr als eine Woche alt. Während sie nach und nach den Futtervorrat verzehrt, gibt sie auch schon Kotbällchen ab.
Die Larve hat nach rund 3 Wochen den gesamten Futtervorrat verzehrt. Nachdem sie ihren Darm entleert hat (dunkelbraune Kotbällchen), ist sie bereit, sich in einem Kokon einzuspinnen.
Die Larve hat begonnen, sich in einem Kokon einzuspinnen.
Der Kokon ist fertig. Die Larve wird sich darin bald verpuppen, um nach einer kurzen Puppenruhe als voll entwickelte Mauerbiene die Puppenhülle zu verlassen. Die Mauerbiene bleibt aber in dem Kokon, in dem sie überwintert, um erst im kommenden Frühjahr die Kokonwand zu durchnagen und das Nest zu verlassen.
Nest mit 6 Brutzellen in einem Bambusrohr mit ca. 6 mm Innendurchmesser. Die Brutzellen und auch Teile der Seitenwände wurden mit Lehm gebaut. Der Nesteingang liegt am rechten Ende des Bambusröhrchens. (Klick für größere Ansicht.)
In diesem als Nisthilfe angebotenen Bündel Schilfhalme haben bereits zahlreiche Weibchen Nester angelegt und mit Lehm verschlossen. (Klick für Großansicht).
Wenn röhrenartige Hohlräume nicht vorhanden sind, werden von Osmia bicornis auch andere als Nistplatz genutzt wie hier in einem Begattungskästchen für Honigbienen. Hier sind die Brutzellen traubenartig aneinandergebaut.
Das folgende Video (48 sec, 2 MB) zeigt zunächst ein Männchen, das sich putzt und wegläuft, und dann ein Weibchen beim Verschließen des Nestes mit Lehm.
Weiteres zur Entwicklung der Biene am Beispiel von Osmia bicornis.
Ausgesprochen polylektische und anpassungsfähige Art, die bisher an Vertretern der folgenden 19 Pflanzenfamilien pollensammelnd nachgewiesen wurde:
Die Analysen der aus Süddeutschland stammenden Pollenladungen und Brutzellen ergaben hohe Anteile von Acer-, Quercus- und Ranunculus-Pollen; in einem Fall war ein Nest vollständig mit dem Pollen von Carpinus betulus (Hainbuche) verproviantiert. Daraus darf allerdings keine Bindung an diese Pflanzengattungen abgeleitet werden. Die von mir untersuchten Brutzellen bestätigten, daß O. bicornis eine hohe Blütenstetigkeit zeigen kann, wenn gute Pollenspender in unmittelbarer Umgebung des Nestes eine hohe Blütendichte erreichen. So fand ich auch Nester, deren sämtliche Zellen fast ausschließlich Pollen von Rosa hugonis (Chinesische Rose) oder Papaver dubium (Saatmohn) enthielten. Die Brutzellen enthalten oft Pollen mehrerer Pflanzenarten, was in der Regel schon durch die unterschiedlichen Pollenfarben ersichtlich wird. Da der Larvenproviant nur sehr wenig Nektar enthält, spielen Nektarquellen für die Brutversorgung nur eine geringe Rolle.
Bisher wurden keine bei dieser Art schmarotzenden Kuckucksbienen bekannt. Ein regelmäßig an den Nestern zu beobachtender Schmarotzer ist die Taufliege Cacoxenus indagator.
Eine Generation im Jahr (univoltin). Anfang April bis Mitte Juni. Haupt-Nistaktivität von Anfang Mai bis Mitte Juni. Überwinterung als Imago im Kokon. Erscheint erst, wenn die Weibchen der nah verwandten Osmia cornuta bereits voll mit dem Nestbau beschäftigt sind.
Aufgrund ihrer Anspruchlosigkeit kommt
die Art in den verschiedensten Lebensräumen vor und ist insbesondere im
Siedlungsbereich häufig. Sie dürfte sich in nahezu jedem Dorf und jeder
Stadt Mitteleuropas auffinden lassen. Sie ist daher in ihrem Bestand nicht gefährdet.
Hinzu kommt, daß sie mit einfachen
Mitteln anzusiedeln und zu vermehren ist. Deshalb und weil sie ausgesprochen
friedfertig ist, ist sie ein hervorragendes Objekt, um Kinder und Jugendliche
mit Wildbienen und ihrer Lebensweise vertraut zu machen.
Hinweis: Wenn die Art in Löchern von Bücherregalen oder in anderen geeigneten Hohlräumen in Wohnungen nistet, schlüpfen die Mauerbienen vorzeitig im Winter und können wegen Nahrungsmangels nicht überleben. Deshalb ist es ratsam, das Nisten innerhalb der Wohnung möglichst zu verhindern und stattdessen ersatzweise geeignete Nisthilfen auf der Fensterbrüstung, an der Hauswand oder auf dem Balkon anzubieten.
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Das 1999 von Prof. Dr. Holger H. Dathe gegründete Kuratorium »Insekt des Jahres « hatte unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Thomas Schmitt (Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut Müncheberg) die Rostrote Mauerbiene als »Insekt des Jahres 2019 für Deutschland, Österreich und die Schweiz« gekürt, um auf den notwendigen Schutz von Wildbienen und die Bedeutung von Bestäubern aufmerksam zu machen.
Für eine insektenkundliche Fachzeitschrift hatte ich folgenden Beitrag geschrieben:
Westrich, P. (2019): Die Rostrote Mauerbiene Osmia bicornis (Linnaeus, 1758) (Hymenoptera, Anthophila) – Das Insekt des Jahres 2019. – Entomologische Nachrichten und Berichte 63:1–10.