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Colletes hederae am Fuß der Schwäbischen Alb

Eine überraschende Entdeckung

Am Abend des 11. September 2006 wurde ich von Herrn Nill, dem Vorsitzenden des örtlichen NABU telefonisch darüber informiert, daß im Sandkasten eines Kindergartens in der Stadt Mössingen, die südlich von Tübingen am Fuß der Schwäbischen Alb liegt, Wildbienen begonnen hätten, Nester zu bauen. Ich hielt dies zunächst aufgrund der Jahreszeit für unwahrscheinlich, da ich mit dem nachfolgend beschriebenen, überraschenden Ergebnis nicht gerechnet hatte.

Am Morgen des 12. September 2006 übergab mir der Sohn von Herrn Nill in einem Gläschen ein lebendes Exemplar, das ich sofort als Colletes hederae, die von Konrad Schmidt und mir im Jahre 1993 erstmals für die Wissenschaft beschrieben worden war (Schmidt & Westrich 1993, genaues Zitat hier, siehe Nr. 34.). Der wissenschaftliche Artname hederae bezieht sich auf die Spezialisierung auf Efeu (wissenschaftlich Hedera) als Pollenquelle, daher auch der deutsche Name Efeu-Seidenbiene.

Ein Sandkasten als Nistplatz

Nachdem ich unverzüglich nach Mössingen gefahren war, ergab sich folgendes: In einem etwa 4x4 m großen Sandkasten hatten die Kinder zwei größere Löcher gegraben, wodurch kleine Steilwände entstanden waren. Diese 20-30 cm hohen Steilwände waren zweifelsfrei von Weibchen von Colletes hederae als Nistplatz ausgewählt worden. Im Bereich der größeren Steilwand befanden sich rund 50 Nester, an der kleineren etwa 20 Nester. Einige Weibchen hatten auch Nestgänge an horizonten Stellen mitten im Sandkasten und im Randbereich gegraben. In einem zweiten, etwa 15 m entfernten Sandkasten befanden sich etwa 10 Nester. Insgesamt zählte ich rund 100 Nester. Viele Weibchen trugen bereits Pollen ein. In den teils lückigen Rasenflächen außerhalb der Sandkästen fand ich keine Nester.

Colletes hederae - Weibchen im Flug

Colletes hederae: Weibchen im Flug.


Colletes hederae - Weibchen am Nest

Weibchen pollenbeladen vor dem Nesteingang.

Dieses Vorkommen ist völlig isoliert, zumindest, was mir bislang über die Verbreitung der Art in Baden-Württemberg bekannt ist, wo ich sie vor allem aus dem südlichen und nördlichen Oberrhein-Tiefland kenne. So war meine letztjährige gezielte Suche an blühendem Efeu östlich des Oberrheins im nördlichen Landesteil, vor allem dem Kraichgau, erfolglos. Trotz bester Nahrungsverhältnisse im Bereich des Tübinger Schlosses, wo es ausgedehnte Efeu-Bestände gibt, konnte ich Colletes hederae dort bisher ebenfalls nicht finden. Das Tübinger Schloß liegt ca. 18 km nordöstlich des Mössinger Fundorts. Daß es im Vorland der Schwäbischen Alb noch weitere Vorkommen gibt, ist aber nun nicht mehr auszuschließen, zumal die Art im Süden Baden-Württembergs jüngst ebenfalls an bisher nicht bekannten Orten nachgewiesen wurde (Mitteilung eines Konstanzer Kollegen). Das Vorkommen in Mössingen kann durchaus auf einer aktiven Ausbreitung der Art in jüngerer Zeit beruhen, da eine passive Verfrachtung z. B. mit Sand aufgrund meiner jüngsten Nachforschungen sehr unwahrscheinlich ist. Es ist also zu vermuten, daß einzelne Weibchen sehr individuenreicher Vorkommen abwandern und neue Lebensräume besiedeln. Wenn die Verhältnisse günstig sind, weil sich wie im Falle des Sandkastens ein geeigneter Nistplatz bietet und außerdem größere Efeu-Bestände in der Nähe vorhanden sind (die ich in Mössingen mittlerweile ebenfalls gefunden habe), kann ein Besiedlung erfolgreich sein.

Das Schwäbische Tagblatt, eine der beiden regionalen Tageszeitungen, hat am 13. September 2006 in einem mit einem Foto illustrierten Artikel über das Mössinger Vorkommen berichtet. Im Reutlinger General-Anzeiger erschien ein entsprechender, ebenfalls bebilderter Beitrag am 14. September 2006. Beide Tageszeitungen brachten die Nachricht in ihrer Online-Ausgabe.

Von drei Weibchen der auf Efeu (Hedera helix) spezialisierten Art entnahm ich am Fundtag vor dem Einflug ins Nest den Pollen für eine Analyse. Bis zum Ende der Flugzeit werde ich versuchen, weitere Pollenanalysen durchzuführen, um über die Nutzung von Efeu an diesem Fundort genauere Daten zu erhalten. Über die Ergebnisse sowie weitere Fakten werde ich zu gegebener Zeit berichten.
 Fortsetzung der Geschichte mit weiteren interessanten Fakten auf dieser Seite!

Artenschutz im Kindergarten

Um einerseits dem Bedürfnis der Kinder und anderseits auch den Belangen des Artenschutzes Rechnung zu tragen, haben wir in Absprache mit den Kindergärtnerinnen die am dichtesten besiedelte Stelle in dem Sandkasten eingezäunt (siehe unteres Foto). Auf diese Weise können die Seidenbienen ihrem Brutgeschäft weiterhin nachgehen und die Kinder lernen, mit diesen harmlosen Bienen zu leben. Den Kindern haben ich aus dem Leben dieser Bienen erzählt und ihnen eingeschärft, keine Bienen in die Hand zu nehmen oder mit nackten Füßen auf sie zu treten, wenn sich zum Beispiel ein Weibchen außerhalb des Zauns auf dem Sand niedergelassen hat. Die Kinder haben, wie mir die Kindergärtnerin erzählt hat, durch das ganze Geschehen zumindest zwei Dinge gelernt: Sie wissen nun, daß es neben der Honigbiene noch andere Bienen(arten) gibt und sie haben erfahren, daß es Menschen (»Forscher«) gibt, die sich für solche Bienen sehr interessieren, sie beobachten und fotografieren. Im kommenden Jahr wollen wir versuchen, durch das Anbieten eines geeignetes Nistplatzes in der Nähe des alten die nächste Weibchen-Generation zum »Umzug« zu bewegen, um einen erneuten Konflikt zwischen kindlichen Bedürfnissen und dem Artenschutz zu vermeiden.

Eingezäunter Nistplatz von Colletes hederae

Eingezäunter Nistplatz von Colletes hederae im Sandkasten des Kindergartens.